Sonntags in Mecklenburg

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Heute hatte ich zwei Gottesdienste zu halten: 10.00 Uhr in Rerik –  ca. 40 Personen -, 14.00 Uhr in Biendorf – mit 5 Personen, inklusive Organistin, Küsterin und Pastor. Letzteres ist Alltag in Mecklenburg. Viele Kolleginnen und Kollegen haben überhaupt nur Gottesdienste mit sehr kleiner Zahl zu halten. Wie geht das? Heute ging es gut und die Leute waren nett. Immerhin hatten wir eine Organistin! Die Predigt habe ich etwas variiert, das passte dann gut. Aber wie es einem geht, wenn das immer so ist, weiß ich nicht. Da Biendorf kaum 100 Einwohner haben dürfte, wird an dieser Besucherzahl auch nicht viel zu änders sein. Als Schnitt ist das vergleichsweise ja nicht einmal schlecht! Die Frage, die sich stellt ist eher die: Gottesdienste ja oder nein? Was lohnt sich noch, was nicht mehr? Und was ist das Kriterium dafür?

Aus den Fotos können Sie, könnt Ihr entnehmen, dass die Kirchen alle ähnlich aussehen: Es sind Backsteinkirchen ungefähr aus der Zeit zwischen 1250 und 1350. Was war der Grund, dass in einem doch überschaubaren, dünnbesiedelten Landstrich in gut 100 Jahren so viele Kirchen gebaut wurden, auch die großen Backsteinkathedralen der Hansestädte? Wurden sie damals gebraucht? Waren sie jemals voll? Nun haben wir sie… Sie sind ein Schatz, ohne Frage! Aber wie leben wir mit ihnen?

Literaturempfehlung: Wolfgang Grünberg/Alexander Höner, Wie roter Bernstein. Backsteinkirchen von Kiel bis Kaliningrad, München-Hamburg 2008

Die Predigt ist wieder im Seitenmenü zu finden. Ein Gedanke zum Thema Freiheit, den ich nicht in die Predigt aufgenommen habe: Einer der guten Effekte des Älterwerdens (es gibt auch weniger gute Effekte) ist, dass man freier wird. Zumindest erlebe ich es so. Nichts mehr beweisen zu müssen, gibt Freiheit. Allerdings, während ich dies schreibe, frage ich mich, ob das stimmt bzw. ob es erstrebenswert ist. Wäre es nicht gut, bis zum Schluss etwas beweisen zu müssen? Hält nicht gerade das lebendig? Ich denke weiter darüber nach…

Das Foto oben zeigt die Biendorfer Kirche und ihren Kirchhof von außen, das Foto unten von innen.

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Die Nordkirche schreibt Geschichten

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Es muss 2007 gewesen sein: Zur Vorbereitung der Fusionsgespräche setzten die drei Kirchenleitungen von Nordelbien, Mecklenburg und Pommern Arbeitsgruppen ein. Mich beriefen sie zum Vorsitzenden der AG Theologie, den Kollegen von der Insel Poel zum stellvertretenden Vorsitzenden.

Ich rief bei ihm an, um den ersten Kontakt aufzunehmen. Seine Frau nahm das Telefon ab, war sehr freundlich und sagt: „Mein Mann ist gerade bei den Schafen. Einen Augenblick, ich hole ihn.“ Und er war wirklich bei den Schafen, nicht etwa bei den „Schäfchen“. Währenddessen rauschte an meinem Bürofenster im Hohenzollernring in Altona der Großstadtverkehr vorbei.

Inzwischen hat der Kollege die Insel verlassen, die Pfarrstelle ist vakant und ich hielt dort heute vertretungsweise eine Beerdigung. Nun stand ich in seiner Kirche, an seinem Altar und begrub auf seinem Friedhof einen Toten. Mich hat das sehr bewegt. Und ich dachte: Solche Geschichten schreibt die Nordkirche…

Die Kirche in Kirchdorf auf Poel – oben aus der Nähe mit Friedhof, unten aus der Ferne.

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Weiter im Alltag

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Gestern hatte ich Gottesdienst im Alten- und Pflegeheim. Das hätte in Hamburg so ähnlich sein können: Das Heim ist in privater Trägerschaft und hat knapp 100 Plätze. Es kamen gut 20 Bewohnerinnen und Bewohner zum Gottesdienst. Der Speisesaal wurde mit wenigen Handgriffen und einem Kerzenleuchter umgestaltet. Ich würde in Zukunft ein kleines Kreuz zum Decken des Altars mitbringen. Einziger Unterschied vielleicht: Das sehr freundliche und hilfsbereite Pflegepersonal blätterte während des Gottesdienstes in einem Fotoalbum… Aber ich will nicht ausschließen, dass man das auch in Hamburg erleben könnte…!

Inzwischen ist die 4. Beerdigung angemeldet worden – alle liegen auf einem Samstag! Diese Tendenz zeichnet sich auch in Hamburg vorsichtig ab, spielt dort aber quantitativ noch keine Rolle. Der Druck der Angehörigen, die sich scheuen unter der Woche einen Tag frei zu nehmen, wird immer größer. Hier ist es schon die Regel geworden, am Wochenende zu beerdigen.

Da ich höre, dass die Fotos besonders beliebt sind: Oben ein Foto vom Johannisfeuer in Russow am Dienstag!

„Ethik des Genug“

Gestern habe ich am Konvent der Pastorinnen und Pastoren der Region teilgenommen. Engagierte Kolleginnen und Kollegen, bodenständig, urwüchsig manche, müde mancher auch, trotzdem hoch identifiziert mit ihrem Amt. Die Personaldecke ist wahnsinnig dünn. Die meisten haben Gemeinden mit mehr als 10 Dörfern und mehreren Kirchen zu versorgen, viele vertreten zusätzlich eine vakante Stelle in einer anderen Gemeinde. Ein Vertretungspfarramt gibt es nicht. Wie geht das?

Unsere Situation in Hamburg erscheint mir plötzlich so anspruchsvoll. Müde gearbeitete Kolleginnen und Kollegen gibt es aber hier wie dort. Es ist, als ob man sich die Arbeit auf einer nach oben offenen Spirale vorstellen kann, und eigentlich ist es egal, an welcher Stelle der Spirale man steht, müde werden kann man überall. Und „genug“ scheint es nie zu sein. Denn mit der besseren Ausstattung wachsen auch die Ansprüche. Objekte Kriterien für das Maß gibt es wohl nicht. Die Begrenzung, auch zum eigenen Schutz, muss man wohl immer selber vornehmen.

Eine Frage, die wir gemeinsam haben, stellt sich hier vielleicht unausweichlicher: Was ist eigentlich Aufgabe der Pastorinnen und Pastoren? Und was ist Aufgabe der Kirche? Was ist ihre Botschaft? Und was ist notwendig, um die Botschaft zu verkündigen? Das Kirchentagsmotto vom letzten Jahr „So viel du brauchst“ fällt mir dazu ein. Eine „Ethik des Genug“ müssten wir nicht nur für unseren Konsum und Ressourcenverbrauch entwickeln, sondern auch für die Zukunft der Kirche.

So geht es auch

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Die Nikolaikirche in Rostock wurde 1942 bei einem Bombenangriff zerstört. Beim Wiederaufbau war man auf staatliche Zustimmung und Unterstützung angewiesen und bekam sie nur, wenn nicht allein ein Kirchenraum entstehen würde. Da Wohnraum gebraucht wurde, baute man Wohnungen – auf drei Stockwerken im Dach. Man begann 1976 und stellte den Bau 1985 fertig. Der Kirchenraum wurde wiederhergestellt, wird heute allerdings lediglich als Veranstaltungsort genutzt.

Ob man das baulich so richtig schön findet, darüber kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein. Und die Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach rundet das Bild nicht wirklich ab. Aber es ist pragmatisch. Auch wir in Hamburg werden in Zukunft pragmatisch denken müssen.

So ist der Alltag

Manche von Euch bzw. Ihnen werden sich fragen: Wie lebt er dort denn nun? Wie sieht sein Alltag aus?

Es ist eine Balance aus Aufgaben und Freizeit. Die organisatorischen Dinge der Gemeinde liegen größtenteils in bewährten Händen. Trotzdem fällt jeden Tag ein wenig „Kleinkram“ an: Anrufbeantworter, Post, Mails bearbeiten, Informationen weitergeben, Kontakte aufnehmen, offene Fragen klären, EDV-Probleme lösen. Dabei stehen mir vor allem die Küsterin und die Vikarin zur Seite. Für die EDV unterhält der Kirchenkreis eine Hotline, die sich schon als höchst hilfreich erwiesen hat.

Jeden Tag gibt es den einen oder anderen Termin: Kirchengemeinderat, Kirchenfrühstück mit Gestaltung eines Themas, Geburtstagsbesuche, hin und wieder ein Trauergespräch, eine Beerdigung, wöchentlich ein bis zwei Konzerte (mit der Aufgabe, die Gäste zu begrüßen), nächste Woche auch eine Andacht im Altersheim, Pastorenkonvent, und sonntags der Gottesdienst.

Eine Beobachtung: Auf der einen Seite ist der Traditionsabbruch nach 40 Jahren verordnetem Atheismus hier stärker als im Westen. Auf der anderen Seite haben sich die Rollen ungebrochener erhalten: Was ein Pastor ist und welche Aufgaben er hat und nicht hat, das erlebe ich hier klarer als in Hamburg. Und ich finde, das ist entlastend und macht es mir in dieser besonderen Zeit einfacher, meinen Weg zwischen den pastoralen Aufgaben und dem Bedürfnis nach Ruhe zu finden.

Man ist hier im Übrigen sehr besorgt, ob ich auch genügend Zeit für mich finde. Dabei erlebe ich es so: Gerade dies, eine schöne Aufgabe zu haben, Geist und Herz auf etwas Neues richten zu können, ist vielleicht erholsamer und erleichtert den Abstand zum Alltag zu Hause besser, als es das reine Nichtstun bewirken könnte. Trotzdem bin ich sehr dankbar für alle Eigenständigkeit der Gemeinde!

Ein Gebäude predigt

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Eigentlich ist es hier ideal: Gemeinde ist präsent, indem sie ihre Kirche predigen lässt. Die Kirche in Rerik ist fast jeden Tag geöffnet. Dies ermöglicht eine Schar ehrenamtlicher Kirchenwächterinnen und –wächter. Täglich besuchen 400-500, in Spitzenzeiten bis zu 800 Menschen diese Kirche!

In der Kirche finden wunderschöne, auch musikalisch reich gestaltete Gottesdienste statt, im Sommer aber auch die Konzertreihen, die Orgelakademie oder – wie gestern Abend – ein Benefizkonzert für die Kinder aus Tschernobyl, die jedes Jahr nach Rerik kommen. Die Kirche ist der Ort, an dem die Gemeinde präsent ist.

Dass dies möglich ist, ist vielen glücklichen Fügungen zu verdanken. Die Lage der Kirche! Wegen ihrer Bedeutung für das Erholungsgebiet Ostsee gab sogar der DDR-Staat 1976 Mittel dazu, als die Kirche mit Unterstützung des Gustav-Adolfs-Werks renoviert und restauriert wurde. Dann die Unterstützung durch Günther Uecker. Und eben die vielen Menschen vor Ort, die ihre Kirche lieben und pflegen.

Das ist zumindest eine Antwort auf die Frage, wie Kirche in unserer Welt heute präsent sein kann.

 

 

Herkünfte und Hinkünfte

Es gibt sie, echte Reriker bzw. Mecklenburger. Aber es sind nicht so viele. Es gibt daneben: Menschen, die nach dem Krieg auf der Flucht aus Ostpreußen, Pommern oder Schlesien hier gestrandet und geblieben sind. Menschen, die noch über die grüne Grenze in den Westen gingen und nach der Wende zurückkamen. Menschen aus dem Westen, die hier für ihren Lebensabend eine neue Heimat gefunden haben. Menschen aus anderen Teilen der neuen Bundesländer, die aus verschiedensten Gründen hierherkamen. Und, und, und…

Wenn ich bedenke, wie viele Mecklenburger ich in Hamburg kenne, dann leben möglicherweise mehr Mecklenburger in Hamburg als in Rerik. So wie man sagt, dass in New York mehr Juden leben als in Jerusalem. Gut, der Vergleich hinkt vielleicht… obwohl: Rerik als neues Jerusalem – keine schlechte Idee… :-))

Mit Rechten hat man hier wenig Probleme. In der Umgebung schon. Heute kam per Rundmail der neue Informationsbrief des Kirchenkreises Mecklenburg. In ihm wird allein auf drei Veranstaltungen verwiesen, mit denen die Gemeinden in die Lage versetzt werden sollen, sich mit den Rechten auseinandersetzen. Wen es interessiert: http://www.kirche-mv.de/Informations-Rundbrief.64.0.html

Im Geleitwort erzählt Pröpstin Christiane Körner, Neustrelitz, von ihrem Sabbatical vor einem Jahr. Sie verbrachte drei Monate in der reformierten Kirche Kubas. Ihre Gedanken heute: „Nicht noch mehr Aktionen helfen, sondern Offenheit für unsere Mitmenschen, Zeit und Nähe. Auf Präsenz kommt es an. Daraus wird erwachsen, was wesentlich für unser Leben und das der Kirche ist.“ Das könnte ich unterschreiben.

Auf dem Weg zur Predigt

„Höre, Israel, der Herr unser Gott, ist der Herr allein.“ (5. Mose 6,4), heißt es im Predigttext des kommenden Sonntags bei Luther. Dieses Bekenntnis wird als klassisches Zeugnis der Wende zum Monotheismus gesehen.

Taliban, Boko Haran, ISIS: Mich beschäftigt das Verhältnis der Religionen zur Gewalt. Leistet der Monotheismus der Intoleranz und damit der Gewaltbereitschaft der Religionen Vorschub?

Ich lese gerade einen Artikel des Münchner Alttestamentlers Christoph Levin. Er sagt: Nach dem Fall des Nordreichs Israel 722 übernahm das Süddreich Juda die Traditionen des Nordreichs, auch den Namen Israel und den Glauben an den Gott Jahwe. „Höre, Israel, Jahwe unser Gott, Jahwe ist einer“ bedeutete vor diesem Hintergrund: ‚Der Gott Jahwe, der jetzt bei uns verehrt wird, ist derselbe Jahwe, der bisher im Nordreich verehrt wurde.’

Als exegetische Erklärung finde ich das interessant. Die alttestamentliche Forschung ist seit meinen Studienzeiten völlig neue Wege gegangen. Ich hätte Lust, noch einmal zu studieren. Allerdings: Die Frage nach dem Monotheismus und seinem Verhältnis zur Gewalt bleibt.