Predigt 2. Korinther 13, 11-13

Predigt über 2. Korinther 13, 11-13 am 15. Juni 2014 (Trinitatis) in der Johanneskirche in Rerik

Propst Dr. Horst Gorski

 

„Zuletzt, liebe Schwestern und Brüder, freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch ermahnen, habt einerlei Sinn, haltet Frieden! So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss. Es grüßen euch alle Heiligen. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“

 

Liebe Gemeinde,

was ist drin, wo „Gott“ draufsteht?

Gott bleibt ein Geheimnis. Aber wie die Menschen so sind, haben sie immer versucht, diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Wer ist das, der die Welt erschaffen hat? Und welche Macht regiert in der Welt, entscheidet über Leben und Schicksale…? Die christliche Theologie hat ihre Deutung dieses Geheimnisses in der so genannten „Trinitätslehre“ (der Lehre von der „Dreifaltigkeit“ oder „Dreieinigkeit“ Gottes) ausgedrückt. Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Die drei sind eines Wesens, aber drei Personen. Auf diese rätstelhafte Formel brachte man Gott im Jahre 381 in Konstantinopel. Begleiten Sie mich in diese oströmische Metropole und lassen Sie uns gemeinsam schauen, was die Menschen damals bewegt hat.

Zu Pfingsten 381 wurde ein Konzil nach Konstantinopel einberufen, es kamen 150 Bischöfe aus dem oströmischen Reich. Ein Jahr zuvor hatte Kaiser Theodosius verfügt, dass alle Untertanen seines Reiches den Glauben an den christlichen Gott annehmen mussten. Von einer verfolgten Religion in den Katakomben war das Christentum zur Staatsreligion geworden. Damit war die Frage, wer denn der Gott der Christen sei, zu einer hochpolitischen Staatsangelegenheit geworden. Und der Streit der Theologen um diese Frage wurde hineingerissen in den Strudel der Politik. Der Kaiser konnte schlecht damit leben, dass die Theologen seiner neuen Staatsreligion sich in den Haaren lagen über diesen neuen Gott. Er brauchte Einigkeit. Und so berief er (der Kaiser, nicht der Bischof!) dieses Konzil ein und drängte auf eine Einigung.

Es ist wohl immer heikel, wenn ein Staat sich in religiöse Angelegenheiten einmischt. Egal, ob er den Atheismus verordnert oder das Christentum zur Staatsreligion macht. Er mischt sich in etwas ganz Persönliches ein. Umso erstaunlicher ist, dass die Menschen damals – wie Zeitzeugen berichten – von den politisch verordneten Fragen tief bewegt waren. Die Frage, wer dieser christliche Gott, der einem gerade von oben verordnet worden war, eigentlich ist, muss die Menschen so ähnlich beschäftigt haben wie heute die Frage, wer unsere E-Mails mitliest. Ein Zeitzeuge, Gregor von Nazianz (der Patriarch von Konstantinopel), berichtet: „In den Gassen herrscht Aufruhr. Die Menschen auf der Straße stecken die Köpfe zusammen. Jeder Handwerker und jeder Sklave meint, er wäre ein tiefer Philosoph, und predigt in der Werkstatt oder auf der Straße. Willst du bei jemandem Geld wechseln, so macht er dir klar, worin sich Gott der Vater vom Sohn unterscheidet. Fragst du nach dem Preis des Brotes, so bekommst du zu hören, dass der Sohn geringer sei als der Vater. Und wenn du dich erkundigst, ob dein Bad bereit sei, erhältst du zur Antwort: der Sohn aber ist ohne Zweifel aus dem Nichts geworden.“ Das Konzil verabschiedete ein Glaubensbekenntnis, das Nizäno-Konstantinopolitanische, das wir heute, zur Feier des Tages, gesprochen haben. Und das Konzil entschied sich für die berühmt gewordene Formel: Gott besteht aus einem Wesen und aus drei Personen. Die 36 Bischöfe, die anderer Meinung waren, reisten erbost ab.

Warum erregten sich die Menschen damals so über eine Frage, die uns heute doch ziemlich kalt zu lassen scheint? Es geht um Erfahrungen und das persönliche Leben, vielmehr als es zunächst hinter einer solchen Formel sichtbar wird:

Wer nach Gott sucht – in irgendeiner Form – wird seine Erfahrungen mit ihm machen und deutet sein Leben vor dem Hintergrund seines Glaubens. Eine Grunderfahrung ist die, dass ich mir mein Leben nicht selber gegeben habe, auch meine Eltern sind nicht meine Schöpfer. Deshalb ist Gott für mich der, der mir mein Leben geschenkt hat. Daran schließt sich aber sogleich die Frage an: Wie kommt es, dass mein Leben Bestand hat? Dass ich jeden Morgen lebendig aufwache, Kraft habe? Gott hat mich offenbar nicht nur erschaffen, er sorgt auch jeden Tag für mich, er erhält mich bis zum Ende meines Lebens. Wonach aber soll ich mein Leben in dieser Zeitspanne, solange Gott mich erhält, ausrichten? Ich kann vieles tun, aber ich kann nicht selber meinem Leben einen Sinn geben. Gott ist der, der meinem Dasein einen Sinn verleiht, weil er mir Aufgaben gibt und Ziele. Was aber ist, wenn ich scheitere? Ist dann alles kaputt und vorbei? Meine Erfahrung ist: Nein, es gibt neue Anfänge, es gibt Wege aus meinen Krisen, Neues kann in mir entstehen, nachdem Altes gestorben ist. So muss Gott offenbar auch der sein, der es möglich macht, aus einem Tief wieder herauszukommen. Aus alledem muss ich wohl auch die Schlussfolgerung ziehen, dass er mich liebt. Denn warum sollte er so viel für mich tun, wenn er mich nicht lieben würde? Das menschliche Leben selbst mit seinem Auf und Ab, seinen Fragen, seinem Scheitern und seinem Überwinden bringt mich dahin, Gott unterschiedliche Namen zu geben.

Die Theologen aber, die darüber nachgedacht haben, wollten ein wenig Ordnung und Systematik in diese bunte Vielfalt bringen. Sie haben gesagt: Im Grunde lassen sich alle diese Erfahrungen mit Gott drei Grunderfahrungen zuordnen: dass Gott mich geschaffen hat, dass er mich begleitet und erhält, und dass er mich rettet. Und sie haben Ansätze dazu in der Bibel gefunden. Die Bibel berichtet von einem Schöpfergott. Sie berichtet vom Geist Gottes. Und sie erzählt von Jesus Christus. Und so war es nicht ohne Sinn, dass die Theologen gesagt haben: Lasst uns unsere bunten Erfahrungen ordnen und etwas besser überschaubar machen: Gott begegnet uns als Vater und Schöpfer. In Jesus Christus ist er uns als Retter begegnet. Und im Heiligen Geist begegnet er uns als Erhalter, Lehrer und Tröster. Natürlich ist alles derselbe Gott, deshalb muss man von einem einzigen Wesen sprechen. Aber er begegnet uns in verschiedenen Rollen. Und weil die Rollen im Theater auf Lateinisch „persona“ hießen – das kommt von „per-sonare“ / „durch-tönen“, weil die Schauspieler damals Masken trugen, durch die hindurch sie sprachen – so wählte man den Begriff „Person“ für die verschiedenen „Rollen“, in denen Gott uns begegnet, wie missverständlich das auch immer gewesen sein mag und heute noch ist.

Was ist drin, wo Gott draufsteht? Nun haben Menschen ja manchmal einen Hang zum Spekulieren. Und so haben sie angefangen zu überlegen, wie es denn dann wohl im Inneren Gottes aussieht. Wenn da ein Wesen mit drei Personen ist. Dann muss es im Inneren lebendig zugehen auf jeden Fall, liebevoll auch. Das Verhältnis der drei Personen zueinander ist Liebe: Der Vater liebt den Sohn und umgekehrt. Und der Heilige Geist ist das Band der Liebe, das Gott zusammenhält. Damit aber wurde das Verständnis von Gott revolutioniert: Denn dann ist er kein in sich abgeschlossenes Etwas, das irgendwo unerreichbar thront und einsam herrscht. Sondern es gehört zu seinem Wesen, dass er liebt, dass er sich mitteilt, dass er dialogisch ist. Weil er schon in sich selbst dialogisch ist, spricht er mit uns und hat sich uns in der Bibel mitgeteilt. Weil er schon in sich selbst Liebe ist, liebt er uns. Das aber wiederum hat revolutionäre Auswirkungen auf alle, die an ihn glauben. Denn damit ist auch vorgegeben, wie wir leben sollen: Nicht abgeschlossen von den anderen, nicht unerreichbar thronend, einsam herrschend über andere, sondern immer im Dialog, in Gemeinschaft und Liebe miteinander. Und trotz der Vielfalt irgendwie miteinander verbunden durch das, was wir Heiligen Geist nennen.

In den ersten Gemeinden gab man dieser Liebe untereinander mit einem Kuss Ausdruck! Und zwar richtig auf den Mund! Das mag in der orientalischen Kultur anders empfunden worden sein als heute. Trotzdem war es wohl auch damals grenzwertig, denn bald erschienen Verhaltensanweisungen, wie der Kuss auszuführen ist: Nämlich kurz und, naja, dezent eben… Ich muss an das berühmte Bild von Honecker und Breschnew vom 7. Oktober 1979 denken: Es ging um die Welt und zeigte, wie diese zwei älteren Herren sich einen sozialistischen Bruderkuss direkt auf den Mund gaben. Eine der wenigen Male, dass ich Honecker richtig bedauert hab. Ich dachte: Ich möcht’ kein Staatsratsvorsitzender sein! Nun, ich war 22 und lebte in Hamburg; die Gefahr bestand also realistisch nicht. Aber das Bild hat mich beeindruckt. Verordnete Küsserei finde ich immer schwierig. Es bleibt aber die Frage: Wie gehen wir in der Kirche miteinander um? Und gibt es heute etwas, woran man uns in unserem Umgang erkennen kann? Das uns unterscheidet vom Rest der Gesellschaft?

Unsere Freundlichkeit? Offenheit? Ganz sicher nicht unsere Fehlerlosigkeit. Unsere Bereitschaft, einen Fehler zuzugeben? Wenn man sich geärgert hat, wieder auf jemanden zuzugehen? Wahrscheinlich gibt es keine Patentantwort, irgendwie arbeiten wir uns an dieser Frage wohl immer ab. Vielleicht kann man diese seltsame Formel, die man damals für Gott gefunden hat: ein Wesen, drei Personen – auch auf die Kirche anwenden: Eine Kirche, bzw. eine Gemeinde, aber viele verschiedene Personen. Jede und jeder bleibt ein wertvolles Einzelstück, Handarbeit Gottes sozusagen, in aller Freiheit. Zugleich verbindet uns etwas, der Glaube, die Liebe, Werte, Fragen nach dem Leben. Eben ein Geist. Der Geist Gottes. Und wenn wir überfordert sind mit der Liebe zueinander, dann tritt er ein. Das ist doch gut. Paulus schreibt, dass der Geist manchmal seufzt. Bestimmt hat er Gründe…. Wir aber bleiben auf der Suche nach der Liebe, mal fröhlich, mal seufzend. Und ob wir uns nun mit Kuss, Umarmung, Handschlag oder lässiger Geste grüßen: Irgendwie ist der Geist der Liebe mittendrin. Amen.